Seit 2009 arbeite ich am Langzeitprojekt „Grau zeigt Farbe“.
Mich inspiriert das Alltägliche, das Absurde im Alltäglichen, das Philosophische.
Umwelt, Gedanken, Erinnertes, innere Vorgänge, werden über Idee und Intuition in eine offene, flüchtig-karge Zeichensprache umgesetzt und eröffnen dergestalt neue Assoziationsräume. Am Thema interessiert mich in diesen Serien auch das Erforschen von Grau auf Farbe, Farbe auf Grau, mithin das farbige Grau und die Spannung zwischen Monochrom (Schichten) und Zeichnung (Kratzen).
„Hanna Werners Arbeiten regen zum Anhalten und Innehalten an, und manchmal kommen sie wie ironisch gefärbte Aphorismen in Bildform daher, denn in den zumeist fast monochromen Oberflächen erhascht erst der fein eingestellte Blick einfache, in die Malfläche geritzte lineare Zeichen, welche Gegenstände repräsentieren, die einmal banal-alltäglich, ein andermal skurril-rätselhaft erscheinen.“

Regina Lange

Mit minimalem Eingriff auf und durch die Graufläche, sind gestisch ausdrucksstarke Figuren mit dichter Leuchtkraft gelungen. Dass das „Vis–a–vis“ ausserhalb des Bildes zu suchen ist, verstärkt die Dynamik nochmals.

René Zimmerli


Hanna Werners Arbeiten der letzten fünf Jahre zeugen von zwei zunächst scheinbar ganz unterschiedlichen Interessen. Immer wieder arbeitet sie ausschliesslich mit der flächig gesetzten Farbe, daneben entstehen von der Zeichnung bzw. vom Linearen bestimmte Werkgruppen. Doch besteht eine für den ersten Blick verborgene Verbindung zwischen beiden Arbeitsweisen.


Wiederholt gründet Hanna Werner ganze Bildserien in erster Linie auf der Wirkung von Farben. So die Reihe „Resonanz-Phänomene“ (2007), die in engem Zusammenhang zu ihren aktuellsten Werken steht: Die stets gleiche, quadratische Grundform (40/40/4 cm) überzieht eine gleichmässig aufgetragene Farbe, innerhalb derer sich jeweils eine dem Quadrat verwandte, aber immer aus dem „Gleichgewicht“ gebrachte bzw. verzerrte Form in bisweilen nur minimal abweichender Farbigkeit zeigt. Eine Herausforderung für das Auge des Betrachters. Je nach zusammenwirkendem Farbpaar und Grösse des innen liegenden Farbfelds sowie abhängig von der grundsätzlichen Intensität der in vielen lasierenden Schichten aufgetragenen Farben ist das resultierende „Zwiegespräch“ verhalten oder prägnant. Scharfe, laute Kontraste sind selten. Die Grundstimmung, welche aus den aufeinander einwirkenden Farbtönen resultiert, ist zumeist subtil und erscheint ästhetisch ausgewogen. Die Arbeiten verraten eine hohe Sensualität der Künstlerin, welche durch die „konstruktiven“ Vorgaben zurückgebunden wird. Die einfache Strenge der Form hält die sinnlich-emotionalen Kräfte der Farbe in der Balance, wobei ein schwebender Zustand erreicht wird, der es offen lässt, ob die Basisfarbe das innere Farbfeld verbirgt oder es sich aus dieser aktiv herauslöst und hervortritt. Das „Machtverhältnis“ zwischen den Farben bleibt untentschieden.

Aus der Spannung von Verbergen und Zeigen beziehen auch die Arbeiten der neuen Serie mit dem Titel „Grau zeigt Farbe“ (ab 2009) ihre Struktur und Wirkung. Bildträger sind wiederum die Quadrate – eine sehr ausgewogene, im Grunde neutrale und in sich ruhende Flächenform. Nun aber greift Hanna Werner mit farbig kontrastierenden Linien in die Flächen ein. Sie reisst die noch nicht durchgetrockneten Bildoberflächen mit griffelartigem Werkzeug auf, wodurch eine jeweils mehr oder weniger leuchtkräftige Farbschicht unter den stets in einem anderen, gleichmässigen Grau gehaltenen Bildern als farbige Spur auftaucht. Abstrakt, gelegentlich aber auch wie Piktogramme mit figürlicher Assoziation, erinnern diese „Scratches“ daran, dass die Findung eines Bildes, das Formen einer Vorstellung, ein Vorgang mit Zerstörungspotential ist. Um zum Bild zu gelangen, ist etwas - hier die unberührte Fläche - zu opfern. (...) Alle Objekte der Reihe „Grau zeigt Farbe“ sind im Prinzip grau angelegt, aber in zahlreichen Abweichungen von dem, was als „Neutralgrau“ definiert werden kann und üblicherweise aus der Abtönung von Weiss mit Schwarz gewonnen wird. Grau, das ist die Farbe der Vagheit, des Nebels. Graues ist unentschieden, zwischen Licht und Dunkel schwer fassbar. Sobald eine Buntfarbe in der Mischung mitspielt, beginnt es zu Changieren lädt sich assoziativ auf: Blau-, Grün-, Gelb-, Violettgrau, Schiefergrau, Bleigrau, Warmgrau, milchig Grau. Die vielfältige Wandelbarkeit und Uneindeutigkeit zeigt sich in Hanna Werners Serie „Grau zeigt Farbe“ als das wahre Potential des Grau: Nicht nur aufgrund der jeweiligen Beimischung einer oder mehrerer Grundfarben (Blau-Rot-Gelb) entstehen Variationen, sondern auch die variable Abfolge der Bildobjekte untereinander lässt jedes Grau wieder individuell anders erscheinen. Es kommt innerhalb der Bildreihe zu intensiver Interaktion; Farbverwandtschaften, Farbdissonanzen, sich gegenseitig auslöschende oder steigernde Energien werden sichtbar. In der Kombination mit den leuchtend farbigen Zeichen, die ihnen „eingeschrieben“ sind, wird hier jedes Objekt der Serie zum eigenständigen Subjekt einer „Gesellschaft“ mit offenen oder verborgenen Beziehungen zu den anderen.

Noch einen Schritt weiter in dieser Richtung weisen die meist nur handflächengrossen „Scratches“ auf Karton. Besonders interessiert hier die Serie der „Relations“ (2009/10), bei denen das Vorhandensein jeweils eines Strichfigurenpaars unmissverständlich klarlegt, dass sich Hanna Werner in diesem Fall ganz dezidiert mit Esprit und ironischem Humor dem Miteinander der Menschen und deren Problemen aufgrund oft schwer miteinander abzustimmender Individualität widmet. „Gezeichnet“ wird der weisse Bristolkarton mit einer Nadel: Es reissen die feinen Fasern der Deckschicht, das Material scheint sich dem Herauskratzen der Figur zu widersetzen. Aufdecken erzeugt Widerstand. Sodann finden sich noch graue und vereinzelt farbige Wischungen, die eine Räumlichkeit und Plastiziät andeuten, betonen, verbinden, oder auch verschleiern: Hanna Werner hat hier nach der Ritzung den Täfelchen und ihren Figuren „Abreibungen“ mit Zeitungspapier verpasst – meist mit Seiten der jeweiligen Tagespresse. Die Spuren der fetthaltigen Druckerschwärze und -farbe markieren so die Interaktion der sparsam umrissenen, skurrilen Figuren. Sie kommentiert lakonisch mit schalkhaftem Blick: „Nicht auszuschliessen, dass manche der Figuren just den Nachrichten des Tages entspringen.“

In dieser Aussage blitzt ein bis heute durchgehendes inhaltliches Interesse von Hanna Werner auf. Bezieht man auch frühere ihrer Werke ein, finden sich entsprechend auch wiederkehrende Bildmittel, wozu Übermalungen, aber auch das Kratzen und Ritzen in den Bildträger zählen. Das Überdecken und Verbergen, das auch zum Hervorheben durch Herauslösen einzelner Bildelemente aus dem Kontext dient, ist zum Beispiel sehr klar sichtbar in der Arbeitsgruppe der „Zäsuren“ aus den Jahren 2000-2003. In diesen Bildmitteln und Formen birgt sie Emotionen und schafft sinnbildliche Beziehungen, nachdem sie ganz zu Beginn ihrer künstlerischen Tätigkeit innere Vorgänge in gestisch-expressiver Malweise oder grossformatige Zeichnungen mit starken schwarz/weiss Kontrasten ins Bild übersetzte. Heute sind geistig-emotionale Inhalte nicht aus den Bildern vertrieben, sondern sublimiert im reduzierten, in gewissem Masse konzeptuell formalisierten Umgang mit Farbe und Linie. Es entstehen jetzt scheinbar gelassene Werke, die auf den ersten Blick die schöne Oberfläche feiern, um diese dann – manchmal hintersinnig-ironisch – zu durchbrechen und sichtbare Oberfläche ( Realität) sowie (verborgenes) Darunter ( Traum, Wunsch, Hoffnung), Kopf und Gefühl, Planung und Zufall als untrennbar zu zeigen.

© Regina Lange, 2011